Dem Onlinehandel auf den Zahn gefühlt. Eine Zwischenbilanz unserer Aktion »Flaschenpost«

Seit rund einem Jahr fühlen wir dem Online-Handel auf den Zahn, indem wir Kleidungsstücke und Accessoires bestellen, sie redesignen/upcyclen und mit einem kurzen Begleitschreiben als Flaschenpost retournieren. Im Folgenden ein zusammenfassender Bericht über das Schicksal unserer ersten 21 Stück: Flaschenpost No. 1 bis No. 20 (die 13 gab es doppelt).

Die Bestellungen erfolgten bei 12 verschiedenen Firmen, darunter die größten Player auf dem Markt wie Amazon, Zalando, Tchibo, Otto, H+M, Zara, Adidas, aber auch einige kleinere wie Uniqlo, Asos, S.Oliver, Armed Angels. Einige der Firmen sind reine Händler, andere produzieren auch. Die Preise der bestellten Artikel bewegten sich zwischen 6 und 64 Euro. Wer sich für das Aussehen der Artikel, unser Redesign, die Details des Bestell- und Rücksendevorgangs usw. interessiert, sei auf unseren Instagram-Account verwiesen, wo wir jede unserer Flaschenposten nach Abschluss des jeweiligen Prozesses publizieren.

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Das Wichtigste vorweg

Von den 21 Retouren wurden 18 klaglos zurückgenommen und die Bezahlung rückabgewickelt bzw. gar nicht erst abgebucht. Lediglich drei wurden NICHT akzeptiert; eine davon kam mit der Begründung zurück, sie sei nicht online erhältlich und müsse im Laden umgetauscht werden (Uniqlo); bei der zweiten (Otto) vergingen ca. drei Monate zwischen Rücksendung und Ablehnung  und es ist nicht auszuschließen, dass die Ablehnung bereits eine Reaktion auf unserere Aktion war; die dritte und am stärksten umgearbeitete Retoure führte zu einer Kontaktaufnahme durch die betroffene Firma (H+M), die anbot, das Stück wieder an uns zurückzuschicken, was dann auch geschah. Alle drei Stücke sind nun Teil des Tausch- und Kaufsortiments von Become A-Ware.

Portohandling

Von den 21 bestellten Stücken war nur auf 8 ein Porto zu entrichten, bei 2 Stück fiel eine geringfügige Handlingpauschale bzw. ein CO2 Ausgleich an, wobei ein- und dieselbe Firma mal Porto verrechnet, mal nicht. Eine durchgängige Verrechnung von Porto war die Ausnahme (Asos, Armed Angels). In 6 der 8 Fälle wurde das Porto auch zurückerstattet. Die drei Flaschenposten, deren Annahme verweigert wurde, waren alle portofrei. Für die Rücksendung fiel in keinem der 21 Fälle ein Porto an. Es scheint also keinen Zusammenhang zwischen der Erhebung von Porto und der Sorgfalt in Sachen Retouren zu geben.

 Behalte- und Abwicklungsdauer, Rückerstattung

Die Zeit zwischen Bestellung und Rücksendung betrug im Durchschnitt 3 Wochen, 3 Stücke wurden über einen Monat behalten. Unter den länger behaltenen Stücken waren auch zwei der schlussendlich abgelehnten Flaschenposten, sodass hier ein Zusammenhang bestehen könnte. Die Verarbeitung der Retouren dauert unterschiedlich lang, bis zur Bestätigung der Rücksendung vergehen im Durchschnitt 3-4 Tage, bis zur Rückerstattung der Bezahlung noch einmal rund 3-4 Tage. Dreimal wurde das Geld bereits vor der Rücknahmebestätigung erstattet, zweimal überhaupt nicht bezahlt (bei Bestellung auf Rechnung). Die längste Dauer zwischen der Rücksendung des Artikels und der Rückerstattung des Geldes betrug 19 Tage. Am längsten dauerte der Prozess bei den nicht zurückgenommenen Artikeln; dort vergingen in einem Fall über 3 Monate bis das nicht zurückgenommene Stück wieder zu uns zurückkam (siehe Zeitdiagramm).

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Retourenschein

Bei mehr als der Hälfte der georderten Artikel lag der Retourenschein bei, bei den anderen musste er online angefordert werden. Im Durchschnitt ist man aufgefordert, zwischen 8 bis 14 Retourengründen zu wählen (darunter immer auch: KEIN GRUND und GEFÄLLT NICHT). Bei einer der Firmen konnte man sogar zwischen 22 Gründen, bei einer anderen zwischen 32 Gründen auswählen. Eine Auswirkung auf die Sorgfalt im Umgang mit Retouren hatte weder das Beilegen des Retourenscheins noch die Anzahl der darauf angebotenen Retourengründe, noch der tatsächlich angegebene Retourengrund.

Ort der Retourenverarbeitung

Von den 21 Rücksendungen gingen 3 an Adressen in Polen, der Rest an deutsche Adressen (über deren Glaubwürdigkeit noch zu berichten sein wird). Nach Polen gingen die Retouren an Amazon und H+M. Auswirkungen auf die Rücksendung hatte die Versandadresse nicht; unter den abgelehnten Retouren war auch eine, die an eine polnische Adresse gegangen war.

Reaktion auf Veröffentlichung

Drei Firmen meldeten sich auf die Veröffentlichung der ihnen gesendeten Flaschenpost auf unserer Instagram-Seite und ersuchten um die jeweilige Bestellnummer, damit sie den angeblich ausnahmsweise übersehenen Artikel aufspüren können. Zweimal haben wir ihnen die Bestellnummer mitgeteilt – nicht ohne Bauchweh, gaben wir damit doch weitere persönliche Daten preis. In keinem der Fälle hat das allerdings bisher zu einem Aufspüren des jeweiligen Stücks geführt (eine Anfrage ist noch in Schwebe).

Einige Schlussfolgerungen

Die meisten Online-Händler scheinen sich für die Beschaffenheit und das Aussehen ihrer Ware kaum zu interessieren. Ihr Hauptaugenmerk liegt vielmehr auf der Kundenbindung sowie auf Daten- und Umsatzgenerierung. Dazu ist eine möglichst effiziente Abwicklung der logistischen Vorgänge vonnöten. Die Rücksendung eines beschädigten oder veränderten Artikels an die Kund*in würde bei den niedrigen Preisen der fast fashion nur zusätzliche Kosten verursachen. Lieber zerstört man ihn oder – da die Obhutspflicht das zunehmend behindert – downcycelt ihn, indem man ihn weiterverkauft, spendet oder entsorgen lässt.Je größer der Player und je weniger er selbst Hersteller ist, desto weniger interessiert er sich für den einzelnen Artikel.

Im Gegensatz zum Befund der Retourenforschung, wonach die Ware sehr schnell zirkuliert, und nur wenig Überschussproduktion vonnöten ist, deutet unser Flaschenpostexperiment auf das Gegenteil hin. Der sogenannte „schwimmende Bestand“ muss beträchtlich sein, wenn man von den üblichen 50% Retouren bei Modeartikeln ausgeht. Die meisten Unternehmen gewähren eine Behaltedauer von einem Monat, nehmen die Ware de facto aber auch noch nach zwei Monaten zurück. Nimmt man dazu die Zeit, die es braucht, sie wieder in den Handel zu bringen (mindestens 1 bis 2 Wochen), so kann man sich leicht ausrechnen, dass eine saisonabhängige Ware wie die Mode und insbesondere die fast fashion spätestens nach zwei Zyklen einen Großteil ihres Tauschwerts verloren hat. Während sich der Artikel in der Hand des Kunden und auf dem Transportweg Tag für Tag an Wert verliert, kann sein finanzielles Gegenstück, der dafür hinterlegte Geldbetrag, vom Händler investiert und vermehrt werden. 

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 Der Online-Handel standardisiert die Mode. Nur was problemlos benennbar ist, wird auch gefunden und lässt sich massenhaft absetzen; für ungewöhnliches Design, individuelles Upcyceln und nachhaltiges Material ist da kein Platz. Das Etikett, das Label, die Größe, der Preis, der Barcode, die Beschreibung, der Überweisungsvorgang, die E-Mail-Bestätigung, die Bewegung und Nachverfolgung des Pakets sind wichtiger als das materielle Gut und seine Gestalt. Die materiellen Dinge und Prozesse finden weitgehend unsichtbar in der Blackbox der Algorithmen und der Logistik statt, die anfallenden Kosten werden ausgelagert: die tragen Billigproduzent*innen, schlecht bezahlte Kurier*innen, ehrliche Einkäufer*innen, der globale Süden, der öffentliche Raum, die Atmosphäre, der Erdboden usw. (letztere sind scheinbar sogar gratis).

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Wie ein nachhaltiges Unternehmen mit seinen Retouren umgeht. Ein E-Mail-Interview mit ARMEDANGELS.