Die Reise eines (europäischen) Kleidungsstücks

Nehmen wir ein Kleidungsstück, das, sagen wir, im Designbüro eines Modelabels in Stockholm entworfen wird. Bis es zum Beispiel in einer Nähfabrik in China Gestalt annimmt, hat der Stoff, aus dem es ist, fast einmal die Welt umrundet: Er ist von der Baumwollplantage in Indien oder Afrika, den USA oder Usbekistan zur Baumwollspinnerei, sagen wir in die Türkei, dann zum Weben nach Taiwan, zum Färben und Ausrüsten nach Bangladesch und vielleicht noch zur Veredelung nach Bulgarien gebracht worden, ehe er sich in China mit dem schwedischen Entwurf verbinden konnte. Wobei die Futterstoffe, Knöpfe und Reißverschlüsse vermutlich in der Schweiz entworfen wurden und ähnlich lange Produktionswege hinter sich haben. Anschließend macht das gute Stück vielleicht noch einmal Station im Süden oder Osten Europas, wo es den letzten Schliff erhält und mit den Insignien des Modelabels ausgerüstet wird. Erst dann wird es auf dessen Filialen verteilt oder landet im Versandzentrum eines Online-Konzern, von wo aus es wiederum über Hunderte oder gar Tausende Kilometer an den/die Endverbraucher*in geschickt wird. Auf seiner Reise hat das Kleidungsstück jede Menge Wasser verbraucht, jede Menge Flüsse vergiftet, jede Menge CO2 ausgestoßen, jede Menge Arbeitskräfte ausgebeutet.

Damit nicht genug: Sehr oft gefällt das Stück dem/der Besteller*in nicht oder wird aus anderen Gründen wieder zurückgeschickt (jährlich weit über 110 Mio. Stück). Solche Retouren gelangen zu 30% nicht mehr in den primären Warenkreislauf. Ein beträchtlicher Teil wird schlichtweg verbrannt, der Rest landet zusammen mit dem noch einmal so großen Anteil an Überhängen (250 Mio. Kleidungsstücke bleiben in Deutschland insgesamt unverkauft) in der Textil- oder Retourenverwertung, von denen oft sie erneut auf Reisen geschickt werden: ins Nicht-EU-Ausland oder nach Kamerun zum Beispiel, wo sie dann die lokale Textilproduktion zerstören. So kommen erneut einige Tausend Reisekilometer, jede Menge Verpackungsmaterial (allein die im Deutschen Online-Handel versandten Pakete ergeben einen Stapel, der zweimal bis zum Mond reicht) und jede Menge Ressourcenvergeudung hinzu. 

Die Ironie: Ein Kleidungsstück, das im Lauf seiner Produktion und des Wegs zu seinen Träger*innen fast 1½ mal den Erdball umrundet hat, ist immer noch bei weitem billiger als eines, das vor Ort erzeugt wurde. So entsteht eine gewaltige Schwemme enorm umweltschädlich erzeugter Modeartikel mit dem Ablaufdatum von Lebensmitteln. Sie produzieren auf ihrem Weg in die Welt nicht nur jede Menge Abfall, sondern werden von vornherein als Abfall produziert. Von den 26 kg Textilien, die jede/r Deutsche jährlich konsumiert, überleben nur 20% länger als ein Jahr im übervollen Kleiderschrank. 

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In Deutschland wird immer mehr Kleidung auf den Markt geworfen, die niemand kauft.